Einbruch und Wende: Das Jahr 1932

Im November 1932 fanden die letzten freien Kirchenwahlen statt. Erstmals traten landesweit und auch in Emmaus die Deutschen Christen auf den Plan. Sie hatten sich erst im Februar desselben Jahres unter ihrem ersten Reichsleiter Joachim Hossenfelder, Pfarrer an der Kreuzberger Christus-Gemeinde, zur "Glaubensbewegung Deutsche Christen" zusammengeschlossen und sich überstürzt und schlecht vorbereitet in das Wahlgeschehen eingeschaltet. In Emmaus unterliefen ihnen zahlreiche Pannen und es gab zum Wahlvorschlag der Deutschen Christen (künftig: DC) eine Reihe von Beanstandungen. Diese Pannen rührten wohl daher, daß hier Leute zusammengetrommelt worden waren, die bis zu diesem Zeitpunkt kaum oder gar keinen Kontakt zur Kirche hatten und die üblichen Gepflogenheiten nicht kannten. Zum Beispiel hatte einer der für den GKR vorgeschlagenen Kandidaten sich erst kurz vor seiner Nominierung nach 13jähriger Ehe kirchlich trauen lassen. Namen und Geburtsdaten waren verwechselt worden, Kandidaten hatten ihre Wahlanmeldung nicht selbst unterschrieben, einige der Aufgestellten zogen ihre Kandidatur wieder zurück. Auch ihrem Anführer, dem Kunstbildhauer Otto Matthes, konnte man bis dato keine große Kirchennähe nachsagen. Er war (und blieb) offenbar in der Gemeinde ein Unbekannter. Keiner der älteren Gemeindeangehörigen verbindet Erinnerungen mit seinem Namen, genausowenig wie mit den meisten seiner Mitstreiter. Nur im Hause von Pfarrer Huhn - und sicher auch der anderen Pfarrer - war dieser Name allgegenwärtig und wurde zum Synonym für Bedrohung und Sorge.
Was hatte diese neue "Glaubensbewegung" nun dem Kirchenvolk zu bieten? In erster Linie und vor allem betrachtete sie sich als Interessenverwalter der NSDAP innerhalb der Kirche. Diese Kirche galt es, ganz nach dem Führerprinzip des Staates umzugestalten, Parlamentarismus und Meinungsvielfalt waren "überlebt" und hatten keinen Platz in der neuen "Volkskirche". Ein "artgemäßer Christusglaube" sollte entstehen und die "von Gott geschenkten (...) Lebensordnungen" in "Rasse, Volkstum und Nation" mußten rein gehalten werden von "Rassenvermischung". Die neue Kirche hatte rein "arisch" zu sein. Die Judenmission als "Eingangstor fremden Blutes in unseren Volkskörper" hatte im nationalsozialistischen Staat keine Daseinsberechtigung mehr, denn sie fördert die "Rassenverschleierung und -bastardisierung". Und auch der "Schutz des Volkes vor den Untüchtigen und Minderwertigen" wurde gefordert, da "bloßes Mitleid (...) gepaart mit schlechtem Gewissen" ein Volk verweichliche. Die Wohltätigkeit der Inneren Mission dürfe "keinesfalls zur Entartung unseres Volkes beitragen".
Es ist kaum glaublich, daß die DC mit solchen Thesen - sie stammen sämtlich aus ihren "Richtlinien" - eine Vielzahl von Menschen für sich gewinnen konnten. Tatsächlich gab es mit Hilfe ihrer Propaganda eine massenhafte Wiedereintrittsbewegung. Massentaufen, Massentrauungen von SA-Männern waren in vielen Kirchen eine Zeitlang an der Tagesordnung. Wirkliche Gläubige hatte die Kirche dadurch sicher nicht gewonnen. Aber die Menschen waren wie verzaubert von dem Spektakel, wenn "unter Vorantritt der Sturmfahne" die Paare "im braunen Ehrenkleid" zum Altar schritten und "gespielt von der SA-Kapelle" mächtig das Lutherlied "Ein feste Burg" durch die Kirche brauste. - Es ist die Rede von der Tabor-Kirche im Oktober 1933, als eine "unübersehbare Menschenmenge" eine solche Massentrauung miterlebte. "Nach Einsegnung der Paare erklang das 'Niederländische Dankgebet', während die gesamten Tabor-Glocken läuteten. Es war ein Tag, wie ihn die Tabor-Gemeinde seit ihrem Bestehen nicht erlebt hat ."
Die wenigsten der Menschen, die schon 1932 die DC in die kirchlichen Körperschaften wählten, werden deren Thesen und Ziele überhaupt gekannt haben. Man sah in ihnen vor allem die Vertreter einer kommenden großen Zeit und einer Partei, die erstmals die kleinen Leute ansprach, die den sog. "kleinen Mann von der Straße" wichtig nahm und in ihren Mittelpunkt stellte. Nur so ist zu erklären, daß die Deutschen Christen landesweit auf Anhieb ein Drittel aller Stimmen erhielten, ohne bis dahin irgendwelche für die Gemeinden sichtbare Leistungen vollbracht zu haben. In Emmaus errangen sie 3 Stimmen gegen 15 der Liste der Positiven bei der Wahl zum Gemeindekirchenrat und 11 gegen 49 der Positiven bei der Wahl zur Gemeindevertretung. Schon nach kurzer Zeit wurde klar, wen man da von nun an in den eigenen Reihen hatte: Schon im Dezember 1932 lag dem GKR ein Einspruch der DC "gegen die Ordnungsmäßigkeit der ganzen Wahl" auf dem Tisch. Die Wahl mußte tatsächlich im April 1933 wiederholt werden und brachte dasselbe Ergebnis, sogar mit einer leichten Verschlechterung für die DC. - Doch zu diesem Zeitpunkt liefen die Uhren schon anders!

 

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