
15. und 16.12.2006
20.00 Emmaus-Kirche
Erwartung
Johann Sebastian Bach:
Messe in h-Moll (Auszüge)
Eintritt: EUR 14,- / 12,- (erm. 12,- / 10,-)
(nummerierte Plätze)
Vorverkauf EUR 12,- / 10,- (10,- / 8,-)
Vorverkauf bis 11.12.2006 unter 030/616 93 10 und über den Chor.
Die Mitwirkenden:
- Sopran-Solo: Inés Villanueva
- Alt-Solo: Helena Köhne
- Tenor-Solo: Christian Mücke
- Sprecher: Oliver Rohrbeck (die Stimme von Justus Jonas aus den drei ???)
- Ölberg-Chor
- Concerto Grosso Berlin (auf historischen Instrumenten)
- Leitung: Ingo Schulz
Erwartung
Das Erwartete
Johann Sebastian Bach
Auszüge* aus Messe in h-Moll
(Gloria, Dona nobis pacem)
Das Unerwartete
Johannes H.E. Koch
Die Bergrede (1968/69)
Uraufführung der Neufassung 2006**
Erwartung
Was erwarten wir im Advent?
Als Christen erwarten wir die Ankunft des HErrn (adveniat = er möge kommen).
Wir erwarten festliche, strahlende Musik mit Trompeten und Pauken.
Wir erwarten Lebkuchen, Gemütlichkeit, Besinnung; Weihnachtsfeiern, Friede, Freude ...
Doch ist die christliche Adventszeit im Ablauf des Kirchenjahres ursprünglich anders geprägt; das für uns heutige Menschen Unerwartete bestimmt diese Zeit. Sie ist eine Buß- und Fastenzeit, eine dunkle Zeit zur inneren Vorbereitung auf das große Fest. Musikalisch eher still, denn die strahlenden Töne sind dem Weihnachtsfest vorbehalten. Die vorgeschlagenen biblischen Lesungen berichten von der Not in der Welt und von der Hoffnung auf den Messias; sie beschreiben apokalyptische Visionen vom Ende der Zeit und mahnen zu Einkehr und Buße
Das ist schwer nachzuvollziehen in einer Welt, in der Stollen und Lebkuchen bereits Mitte Dezember ausverkauft sind, Einkehr nur etwas mit Kneipe zu tun hat und Buße ein Wort für über 80-Jährige ist. Das Bach'sche Weihnachtsoratorium ist schon vor Beginn der Adventszeit zu hören, dann häufig in der Adventszeit – und leider sehr selten in der Weihnachtszeit. Selbst in Kreisen kirchlicher Angestellter mag mir kaum jemand glauben, dass der sechste Teil des Werkes für einen Festtag im Januar (Epiphanias, 6. Januar) komponiert wurde.
Wir wollen versuchen, uns in diesem Konzert beidem zu widmen; der in den letzten Jahrzehnten gewachsenen Lust auf strahlende Töne in Bachs grandiosem Meisterwerk sowie dem Unerwarteten in Form der Uraufführung der Bergrede von Johannes H.E. Koch.
Die Bergrede präsentiert den biblischen Text nicht nur in einer modernen, herben Tonsprache, sozusagen im "Personalstil" Kochs, sondern auch in Songs und anderen musikalischen Formen – das Unerwartete im Unerwarteten. Ganz besonders aufrütteln aber soll der "Widersprecher", eine Rolle, die Rudolf Otto Wiemer (1905-1998) in genialer Weise eingeführt hat; eine Person, die zum altbekannten Text, an dem wir zu oft nur noch mit frommen Gefühlen vorbeihören, Fragen stellt, die wir stellen müssten, aber wegen der Gewöhnung an die schönen Worte nicht oder nicht mehr stellen.
"Selig sind die Sanftmütigen", "Liebet eure Feinde" – diese Sätze gehören zum abgehobensten Teil dessen, was dieser Jesus von Nazareth gepredigt hat. Gut für Konfirmandensprüche, für die Zitatensammlung und für Menschen wie Ghandi und Mutter Teresa. Und damit haben sie dann ihre Aufgabe erfüllt, auf dass nicht etwa innerer Aufruhr entstehe.
In dieses wohlige Gefühl will das Werk hineinstechen, aufrütteln und Fragen stellen – genau der richtige Gegenpol, das geeignete Unerwartete für die Adventszeit in einer Konsumwelt.
Lassen Sie sich von diesem Werk fragen, fragen nach dem Sinn.
Eingerahmt wird diese spannende Musik durch die wunderbaren, genialen Klänge aus Bachs h-Moll-Messe. Das Gloria, der Lobgesang der Engel über dem Stall von Bethlehem leitet das Konzert ein, das Dona nobis pacem – das Verleih uns Frieden – beschließt den Abend mit wunderbarer, engelsgleicher Musik.
Aber vergessen wir dabei nicht das Anliegen der Bergrede!
Aus jedem guten Konzert geht man verändert heraus; ich hoffe, dass die Veränderung unserer Zuhörer und auch von uns Interpreten durch diese Kombination zweier Meisterwerke eine besondere sein wird.
* Auszüge aus Bachs h-Moll-Messe - darf man das?
Bach hat die h-Moll-Messe nie als geschlossenes Werk konzipiert. Erst 1738/39 hat er vier ältere Kompositionen zu einer "missa tota", seiner einzigen vollständigen Vertonung des lateinischen Messtextes zusammengefasst. Diese Zusammenfassung ist zu Bachs Lebzeiten niemals gespielt worden und war wohl auch nicht dafür geplant. Ähnlich wie manch anderes Spätwerk könnte es sich durchaus um Lesemusik“ handeln, um ein Kompendium zur Darstellung der Kompositionskunst einer zu Ende gehenden Epoche.
Die ehemaligen Einzelwerke Kyrie/Gloria (1733), Credo (1732), Sanctus (1736) wurden sicher selten in Gottesdiensten aufgeführt. Der verwendete lateinische Text entspricht dem in der lutherischen Kirche Kursachsens üblichen, der aber eben kaum Verwendung fand, da die Gottesdienstsprache deutsch war; Osanna bis Dona wurden erst bei der Zusammenfassung der Werke komponiert. Im Autograph verzichtet Bach auf eine neue durchgehende Nummerierung der Sätze, es bleiben die vier Einzelwerke deutlich erkennbar. Erst im 19. Jahrhundert, als Bachs Messe mit Beethovens Missa Solemnis in Parallele gesetzt wurde, kam das Missverständnis auf – und auch der Name "Hohe Messe" stammt aus dieser Zeit.
Da also die Bach'sche Messe nie als Ganzes komponiert wurde, scheint es mir durchaus legitim, einen Schritt weiter zu gehen, wie wir es in unserem Konzert machen, und nur das Gloria ohne das Kyrie aufzuführen. In der Zusammenstellung mit Kochs Bergrede entsteht so ein neues Ganzes.
Weitere Sätze der h-Moll-Messe werden wir im April aufführen, wahrscheinlich wieder zusammen mit Moderner Musik, und dann im Dezember 2007 endlich das ganze Werk an einem Abend spielen, ein großartiges Erlebnis, das aber wohl von Bach nie so geplant war.
**Zur Uraufführung der Bergrede von Johannes H.E. Koch
Die Bergrede erklang erstmals 1969 auf dem Evangelischen Kirchentag in Stuttgart. Eine gewaltige Menge Blechbläser und Chorsänger führten unter der Leitung des Komponisten das Werk nach dem Text von Rudolf Otto Wiemer auf – ein einmaliges Großereignis.
Seither existiert das Werk nur auf einer Schallplatte in gekürzter Version, ein Mitschnitt der Uraufführung.
Ich weiß nicht mehr, wer den ersten Schritt tat; irgendwann war jedenfalls Johannes Koch und mir klar: Eine Neufassung muss her (Ich glaube inzwischen, die erste Anregung kam von einem Chorsänger, Volker Kroll, der mich auf das mir eigentlich bekannte Werk neu stieß, mit dem Hinweis, dass es Koch in seinem Lebenswerk sehr wichtig sei).
Da ich nie an eine abendfüllende Aufführung gedacht hatte, musste das Werk gekürzt werden und mit einem Barockorchester aufführbar sein, um im Dezember 2006 auf unser Programm zu kommen. Verloren gegangene Partien mussten neu komponiert werden, denn der Text der jetzigen Lamentationen und Laudi waren in der Urfassung Sätze für Baritonsolo und Orgel, deren Noten nach der Uraufführung verschwunden sind (Unerwartetes geschah: Die Noten fanden sich nach Fertigstellung der Neufassung beim Organisten der Uraufführung wieder an – sie hatten fast 40 Jahre unentdeckt in einem Notenstapel hinter einer Orgel verbracht. Doch die nun fertige, in sich geschlossene Neufassung wurde nicht mehr angetastet).
Gute Erfahrungen bei der Aufführung von Kochs Musik mit historischen Instrumenten haben wir schon vor einigen Jahren mit der Uraufführung des Psalmrequiems gemacht, so dass ich guter Hoffnung bin, dass auch unser neues Experiment gelingen wird, wenn auch die Holzbläser manche Hürde zu überwinden haben. Bei der Verwendung der Trompeten allerdings stießen wir an die Grenzen der historischen Instrumente; für die Bergrede werden die Trompeter moderne Instrumente verwenden, um auch in tiefer Lage die vollständige chromatische Tonleiter zur Verfügung zu haben.
Durch den tragischen Tod von Kochs Ehefrau und anschließende Krankheit des Komponisten schien zwischenzeitlich das ganze Projekt gefährdet, aber es wurde doch fertig, wenn auch deutlich später als geplant. Am 26. September 2006 schrieb Johannes Koch die letzte Note der Bergrede nieder. Das Werk war deutlich umfangreicher geworden als erwartet, die Noten wurden von uns im Eiltempo im Computersatz in lesbare Form gebracht (Vielen Dank für großartige Hilfe dabei an Sofia Krastev!) und die Proben konnten beginnen – anfangs noch aus Einzelblättern, die langsam zu einer 186-seitigen Partitur heranwuchsen.
Nun sind wir gespannt auf das real klingende Endergebnis, dass wir – hoffentlich gemeinsam mit dem nun 88-Jährigen Komponisten – aus der Taufe heben wollen.
[Ingo Schulz]
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